Sonntag, 5. Oktober 2008

Schietwetter

Besonders schön finde ich die "Liebe auf den zweiten Blick". Die Liebe, die nicht so offensichtlich, von der Faszination des Moments der ersten Begegnung abgelenkt, erst bei genauerem Hinsehen zum Vorschein kommt. Die "Liebe auf den ersten Blick" kann nämlich manchmal beim zweiten nur noch die Sehnsucht nach dem berauschenden ersten Moment sein, der nach Abklang der Euphorie fad schmeckt. Wer den ersten Eindruck aber unbeschadet überstanden hat, kann sich die Ruhe und die Zeit gönnen abzuwarten, wirken zu lassen und allen Eindrücken - ob nun erster, zweiter oder jeder folgende - die Chance geben, ihre ganz eigene Faszination zu entfalten...

Wer jetzt erwartet, ich hätte die Liebe meines Lebens, womöglich noch in Form eines Mannes gefunden, der irrt. Die beinahe lächerlich dramatische Einleitung deutet auf einen gewichtigen Inhalt hin. Aber auch hier sei der geneigte Leser gewarnt. Meine Hymne gilt einem profanen Vergnügen - dem verregneten hamburger Sonntagvormittag bei einem großen Milchkaffee.

Mein Ausflug gestern nach Sylt war nett. Aber eben nur "nett". Nichts Nachhaltiges. Ich hätte gerne von den wenig überladenen Ecken der Insel berichtet (ja, es soll tatsächlich noch solche geben), Friesenhäuser, Reetdächer, Dünengras, opulente Blumengärten, alte Türen, verwitterte Gesichter... Stattdessen gab es Westerland, Surf World-Cup, Strandkörbe, Windstärke 5, ein neuer BREE-Rucksack (3 Jahre Entscheidungsfindung haben gereicht), frisch gegrillter Fisch, Regen-Sonne-Regen-Regen und - um es diplomatisch auszudrücken - unterschiedliche Lebenseinstellungen. Auch das klingt tatsächlich nicht schlecht, aber nicht schlecht ist doch auch nur ein miserabler Begriff für "durchschnittlich". Es blieb nicht viel hängen, ausser vielleicht der Entscheidung ein anderes Mal wieder zu kommen. Vielleicht alleine. mit mehr Zeit.

(zum vergrößern einfach auf die Fotos klicken)



Mit das Einzige, was sich von der Reise in den heutigen Sonntag gerettet hat, war der elende hanseatische Dauerregen. Schon morgens beim Aufwachen trommelte er ungeduldig an mein Fenster. Der anschließende Blick durch die mühsam geöffneten Augen in die Küche verstärkte die verregnete Stimmung: Espresso ja - Milch leider nein, Belag ja - Brot leider nein, Müsli ja - Joghurt... na ja, es ließ sich jedenfalls ein deutlicher Trend erkennen.

Merkwürdigerweise ließ sich meine unbändig gute Laune auch von diesen eher mittelprächtigen Aussichten nicht in Melancholie verwandeln. Woher die gute Laune kommt? Ach ja, hier ist nun der Moment, an dem ich beiläufig einfließen lasse, dass ich meine erste eigene Veranstaltung - den "Hamburger Director's Cut" - mit Bravour (keine Selbstbeweihräucherung) gemeistert habe.
1 Luxushotel in Hamburg, 5 Filmregisseure, 1 Moderator, 488 prominente Gäste, 1 Bühne, 250 Liter Champagner, 1 Projektleitung = ich. Klingt aufregend und das war es auch. Bis auf ein paar Randkatastrophen ist alles glatt gegangen. Danke Judith, Du kleines Energiebündel.




Aufbau

meine Regisseure




Merci!

Seither, seit Freitag früh die Anspannung abgefallen ist, kann mir absolut gar nichts mehr "die Grütze verhageln". Laune her-vor-ra-gend!

Jetzt schließt sich auch mein sorgsam aufgebauter Spannungsbogen. Frühstückslos und fröhlich entschied ich mich das nächstliegende Café aufzusuchen. Bei einem meiner Erkundungsspaziergänge, da noch im herbstlichen Sonnenschein, hatte ich das "la caffetteria" entdeckt (Abendrothsweg 54, 20251 Hamburg). Hierher zog es mich jetzt unter meiner pelzummantelten Eskimokapuze. Und genau in dem Moment, in dem ich eintrat, erlebte ich die besagte "Liebe auf den zweiten Blick". Aus dem monotonen Regen der einsamen Straße stolperte ich tropfend in das hochwandige, großfensterige Einraumcafé: Geschäftiges Treiben, laut, sehr laut, voll. Holzfarbene Tische, dunkle, gepolsterte Holzstühle, Dielenboden. Kein Platz für mich, meine graue Wollmütze und meinen neuen (es ist mir durchaus bewusst, dass ich diesen bereits erwähnt hatte. Ich wollts nur so gerne noch mal sagen.) Rucksack. Ich war kurz davor wieder umzukehren. Doch bevor ich mich entschließen konnte, bekam ich von den in simplen weißen Shirts gekleideten Kellnern einen Milchkaffee in einer großen Tasse serviert - einen fabelhaften Milchkaffee, I might add...







Je länger ich jetzt hier setze, desto seliger bin ich, dem ersten Impuls des Umkehrens widerstanden zu haben. Die Geräuschkulisse ist beinahe wie diese perfekt passende Filmmusik - keine Tonfolge könnte die Situation besser untermauern, besser beschreiben. Wortlos. Mein Kaffee, mein Frühstück, mein Buch und meine graue Wollmütze fühlen sich hier bestens aufgehoben. Es könnte sicherlich auch das Tomasa sein, oder das Feuerbach, oder eine andere szenige Berlin-Lokalität, aber das ist sie eben einfach nicht. Das ist Hamburg. Mit Hamburger Menschen - ob man diese nun mag oder nicht. Ich bin in Hamburg. Ich weiß nicht, wie sich das alles entwickeln wird, aber ich werde alles mitnehmen, was ich aufsaugen kann. Jeden Tag, jede Straße, jedes Wetter wenn es sein muss. Und wenn ich kurz Pause machen muss, dann gehe ich vielleicht ja ins "la caffetteria", bestelle das Frühstück "von allem etwas" mit dem großen Milchkaffee und genieße meine Liebe auf den zweiten Blick - Hamburg.

Bonne nuit

Ella

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