Sonntag, 26. Oktober 2008

12 Stunden Kunstkontakt

Heute ist "Tag der Kunstmeile" in Hamburg. 12 Stunden Ausstellungen, Galerien, Ateliers, Bibliotheken, Kunstvereine für 6 Euro. Ich habe 5 Stunden mitgemacht und bin der Meinung "jetzt ist auch genug"...

Morgens war ich in der zwar äußerlich weniger aber dafür innerlich umso stärker wärmenden Sonne joggen im Eppendorfer Park. Mein anschließendes Samstagsfrühstück war auch durchaus eines Sonntags würdig; der Wochentag war allerdings meiner beschwingten Laune ganz außerordentlich egal.

Die Laune und ihre Geschwister Fröhlichkeit, Sorge, Müdigkeit, (in seltenen Fällen auch Onkel Hunger), sind in der vergangenen Woche nicht immer rücksichtsvoll miteinander umgegangen. Irgendwo zwischen genervt, krank und halbwegs orientierungslos bin ich zielstrebig auf's Wochenende hinzugestolpert. Ich bemerke, dass ich tatsächlich nach und nach die Alltagsmanieren der arbeitenden Bevölkerung übernehme. Bin ich schon ein echter Bürohengst geworden? Na gut, Bürostute?! Ich freue mich zwar immer noch fast täglich auf die Arbeit, aber trotz allem erwische ich mich dabei, wie ich ab 18:43 Uhr im guten 20-Sekunden-Takt auf alle verfügbaren Uhren schaue, ob sich nicht vielleicht ein Knoten im sonst doch eher gradlinigen Zeitverlauf ergeben hat, der mich dazu ermuntert ruckartig Stift und Papier fallen zu lassen. Ebenso freue ich mich Montag gegen 11:23 Uhr auch schon wieder auf Freitag. Vielleicht ist dieses Phänomen aber nicht zwangsläufig auf die bevorstehende Arbeitswoche zu schieben, sondern eher darauf zurück zu führen, dass meine Wochenenden bislang ausnahmslos wunderbar waren. Ob nun an der frischen Seeluft, im französischen Café, im sommerlichen Stadtpark, in der kitschigen Laeiszhalle oder einfach gemütlich zuhause.

Nach Frühsport und Frühstück, war ich nun also kurz davor zu meinen Sonnennachmittag im Winterhuder Stadtpark aufzubrechen, als mich die nette Radiostimme erinnerte, dass die Hamburger Kunst ja noch auf mich wartete. Also nichts wie los. Die ersten 6 Stunden hatte ich ja bereits vertrödelt.

In der Zentralbibliothek im ehemaligen Hauptpostamt am Hühnerposten 1 begann also meine Kunstreise.


Alles hier ist etwas größer, von allem gibt es ein bisschen mehr und alles ist neu und gut sortiert. Das ist zumindest mein erster Eindruck nach der kostenlosen Führung. Und es wird noch schöner, schneller und automatischer in Zukunft. So berichtet zumindest Angelika, die freundliche Bibliotheksführerin. Momentan wird an einer riesigen Sortieranlage gebaut, die gleichzeitig rund um die Uhr als Annahmestelle fungiert, ein- und ausgehende Medien sortiert und an vier Ausgabestellen alles Gewünschte wieder ausspuckt. Mag ja alles ganz toll sein, ich war allerdings weitaus beeindruckter von der einzigen existierenden vollständigen Sammlung aller "Spiegel"-Ausgaben seit Beginn 1947. Selbst der Verlag besitzt nicht mehr alle Ausgaben, Wasser und Feuer haben gewütet.


Im selben Gebäude, allerdings im 6. Stock, befindet sich das Goethe-Institut.

Abgesehen davon, dass man von hier oben einen atemberaubenden Blick hat, gab es isländische Kunst und die Abenteuer eines Amerikaners in Deutschland (David Bergmann "Der die was?") in Form einer Lesung zu bewundern. Zudem wurden die eigenen Deutschkenntnisse getestet. Beispiele gewünscht?

1) Korrigieren Sie die Redewendungen:
Eine Hand streichelt die andere. Trautes Heim, Fernsehen allein. Früher Vogel fängt das Nest. Auch ein taubes Huhn findet mal ein Korn. Bis dahin fließt noch viel Wein den Rhein hinunter.

Ok, lösbar.
2) Sie sind beim Italiener. Was bestellen sie?
Vier a) Pizzas b) Pizzen c) Pizzi
zwei a) Capuccino b) Capuccini c) Capucchinos
drei a) Grappi b) Grappa c) Grappas
nach hause kommen Sie mit zwei a) Taxen b) Taxis c) Taxie

3) Wie stellen Sie sich vor?
Bsp.: Ich bin Berlinerin.

"Ich bin..................." (Elfenbeinküste)
"und ich...................." (Barbados)

4) Kreuzen Sie die richtige Lösung an
a) Im Winter diesen Jahres oder b) im Winter dieses Jahres.
c) nahe des Goethe-Instituts oder d) nahe dem Goethe-Institut.
e) Ess schneller! oder f) Iss schneller!
g) Meines Wissens nach wurde Goethe in Frankfurt geboren
oder h) Meines Wissens wurde Goethe in Frankfurt geboren.
i) die optimalste Lösung oder j) die optimale Lösung


...und so weiter und so fort. Na, alles gewusst? Lösungen gibts auf Anfrage.

Inzwischen wurde es dämmrig draußen und ich zog weiter in den Kunstverein, das Galeriehaus und die Akademie der Künste.

Hier wurden wundervoll zarte, leichte, und doch farbig so intensive "Strandbilder" von Cony Theis gezeigt. Sie malt auf Transparentpapier - zunächst von hinten mit Ölfarbe und dann von vorne mit chinesischer Tinte. Einfach wunderschön.



Hinter der nächsten Tür (mikikosatogallery.com) verbarg sich Ken'ichiro Taniguchi. Der Mann muss verrückt sein. Was ja in der Kunstwelt meist nur von Vorteil ist. Er ist mal Maler, mal Modedesigner, mal Fotograf. Und jetzt? Jetzt kippt er gerade flüssigen Kunststoff in Ritzen und Schlaglöcher auf der Straße. Dann holt er das Zeug wieder raus, zerschneidet es, fügt Tausende kleiner Scharniere ein und hängt es auf. Also, was ist er? Künstler eben.

Gleich nebenan ist die Spielzeugwelt zuhause.
Zumindest derzeit. Es ist der Showroom vom amerikanischen Ginko Press Verlag. Anlässlich der weltweit erfolgreichen Ausstellung von "Toygiants" wurde eine der Fotografien gigantisch groß auf die Stirnseite des Raumes aufgedruckt. Das ist auch schon die ganze Galerie. Daniel und Geo Fuchs haben die beeindruckende Masse von Sammlerspielzeugen jeweils in einen goldene, eine silberne, eine pinke, eine weiße und eine schwarze Kombination angeordnet. Spannend, wen man so alles wiedererkennt...


Ein Haus weiter im Kunsthaus wurde asymetrische Mode ausgestellt. Inspiriert wurden Vater und Tochter-Designer von an Brustkrebs erkrankten Frauen. Ach jeh, ob das sein muss, fragt man sich. Aber die Gedanken sind ja glücklicherweise frei. Die Stoffe jedenfalls waren zauberhaft. Hätte nicht alles dieses fies amazonenhafte gehabt, wer weiß, es wäre vielleicht sogar tragbar.


Weitaus fröhlicher ging es nebenan zu. "Installationsquatsch" würde ich sagen. Hier wurden Schulhefte ausgestellt, in denen ein Flaschensammler seit 2004 akribisch jede einzelne Pfandflasche mit Wert und Rückgabedatum und -ort notiert hat. Eine ganze Wand voll tapeziert. Oder auch nur ein Stück Tapete. Kann was! Besonders gefallen hat mir aber die an der Wand hängende Liebeserklärung an den guten alten Besen.



Es gab noch so viel mehr zu sehen, und es gäbe noch so viel zu berichten, aber dann würde mich ja niemand mehr besuchen kommen, um alles mit eigenen Augen zu sehen. Also belasse ich es dabei und komme zum Schluss. Zu jetzt. Jetzt sitze ich in der Mitte des Hauses der Photographie der Deichtorhallen, inmitten der "Traumfrauen" von David La Chapelle und Co. und lausche dem abendlichen Jazzkonzert.


Ich kann nichts mehr aufnehmen, der Kopf ist voll. Draußen ist es stockfinster. Und die Dame in Rot hat soeben "...one more for the road" gehaucht. Das werde ich jetzt befolgen und mich von der Musik nach Hause begleiten lassen. 5 Stunden Kunst sollen genug sein. Schließlich hat der Tag nur 24. Obwohl... morgen hat der Tag 25 Stunden. Ausnahmsweise.

Bonne nuit

Ella

Samstag, 18. Oktober 2008

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr seid der HAMMER!

Nein, eigentlich habe ich nichts Spannendes zu erzählen, aber das, was ich gerade erlebt habe, ist einfach zu schön um es ganz für mich zu behalten. Also, ihr seid herzlich eingeladen...

Ich war gerade in der Hamburger Laeizhalle zur „Galanacht der deutschen Tenöre“. 3 Stunden Sing-Sang. Drei “ junge Tenöre“ und vier, na ja, ältere Tenöre. Die "jungen Tenöre" waren allerdings nicht wirklich jung. Und bissl dick. Egal, ich schweife ab…Ich werde nun versuchen die positiven Aspekte möglichst eindrücklich darzustellen:

Die Laeiszhalle ist schön.


Alles andere lässt sich einzig als ein wildes Potpourri aus Kuriositäten, grandiosen Stimmen und gefährlich hohem Fremdschämfaktor beschreiben. Ein bisschen wie Loriot zu seinen besten Zeiten. Chapeau.

Es war von Beginn an offensichtlich, dass meine Kollegin Beate und ich den Altersdurchschnitt auf gutgemeinte 78 Jahre drückten – wir gehörten demnach nicht ganz zur anvisierten Zielgruppe. Aber die sieben trällernden und knödelnden Pinguine auf der Bühne, ja, DIE kannten Ihr Publikum! Da war für alle was dabei. 7-stimmiger Chor (der zugegebenermaßen beeindruckend mächtig und doch differenziert hörbar war), da waren spiegelglatt gegelte Schwiegersohnfrisuren, da waren neckische Augenzwinkerer zu den Schnitten in der ersten Reihe, da waren dramatische Handbewegungen die körperliche Schmerzen beim Tonartwechsel vermuten ließen und Zwischenmoderationen, die einem Hansi Hinterseer durchaus hätten Konkurrenz machen können: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr seid der HAMMER!“ schwärmte Charme-Barde Björn Casapietra in das voll aufgedrehte Mikrofon – und der weibliche Publikumsanteil (geschätze 97,3 %) sank augenblicklich seufzend in die purpurnen Plüschsessel. Oh, und es gab viel zu lachen, auch nicht nur ungewolltes. So kam ich in den Genuss des guten alten „Kunst kommt von Können und nicht von Wollen, sonst würde es ja Wunst heißen“-Witzes, der minutenlang für schallendes Gelächter sorgte.

Besonders schön war auch, dass alles von 3 rotierenden Diskokugeln untermalt wurde, angestrahlt von den klassischen Mitgliedern des Farbenkreises: Pink, Türkis und Lila. Insofern sehr passend, als dass sich dieses farbenfrohe Miteinander in der Kleidung der einen oder anderen betagten Dame wiederfinden ließ. (Horst, wo ist denn das blaue Sakko? Ja, genau, dass mit den rosa Karos…)

Begleitet wurden die Sängerknaben von dem Wiener Damenorchester „Rondo Vienna“. Klingt harmlos, aber OBACHT – der Eindruck täuscht. Bärbel und ihre Bratschen oder liebevoll auch „göttliche Geigerinnen“ genannt, hatten es faustdick hinter den vom Kolophonium möglicherweise verstopften Ohren. Ganz im Stil der „Kelly Family“ wurde in kleinen Zwischenspielen gefidelt was der Bogen hergab. Aber das war noch lang nicht alles: Es gab ja noch 2 E-Gitarren, Schlagzeug, Martin am Klavier (äh, hallo FRAUENOrchester? Ist wohl keinem aufgefallen) und die gute E-Panflöte!!! Solistin Bärbel hatte zu allem Überfluss noch den Minirock als Bühnenoutfit gewählt, welcher bei ihren wilden Geig-/Tanznummern kurzzeitig dem donnernden Popsound (hier wurde „Maniac“ und „Eloise“ recht eigenartig interpretiert und als „We will Rock you – das Queen Musical – Verschnitt vorgetragen. Gruselig. Sonst nichts.)den Rang abzulaufen drohte.

Seinesgleichen suchte allerdings die Musikauswahl der (ob nun jungen oder alten) Tenöre. Es war sicherlich vorhersehbar, dass auch hier eine Ausrichtung auf die Schunkelfreudigkeit des Publikums stattfinden würde. Ich gestehe, trotz dieser weisen Voraussicht, nicht minder geschockt gewesen zu sein. Die einzig erkennbare Konstante im Programm war der Gebrauch von hahnebüchenen deutschen Texten für zeitgenössische ausländische Popmusik (Bei Nachfrage füge ich hier gerne hinzu: Ja, man kann jeden modernen Popsong auch von einem Tenor singen lassen, klingt halt nur ziemlich mistig). Ich konnte mir längst nicht alles merken, aber einiges ist doch hängengeblieben. Den Anfang meiner Hitparade macht der berühmte Boyzone-Titel „Egal, was andre sagen, egal was auch geschieht…“, gefolgt von Johannes „Whitney Houston“ Kalpers mit „Es wird maa-hain großer Taaag“ (Ja, richtig: One moment in Time). Mein persönlicher Favorit war allerdings der im Finale zweisprachig vorgetragene Titel „Amazing Grace“, der in der deutschen Version folgende Lebensweisheit an die begeisterte Zuschauerschaft weitergab: „Ei-hein schöööö-ne-he-her Taaaaaag voll Haaar-mooo-niiiieee, i-hist wiiiieee ei-hein Eeeeee-del-steeeeiin“. Kinder, ich sags euch, viel gelernt heut nacht!

Um es an dieser Stelle etwas abzukürzen, im fulminanten Finale (nach 3 Stunden!) wurden wir mit Kassenschlagern wie La Traviata, Nessun Dorma (ohne den werbewirksamen Paul Potts) und eben Amazing Grace verabschiedet. Massen von wippenden Fönfrisuren, ach, und das allseits beliebte Rhythmusklatschen, meist mit flatternden Ellenbogen, dazu die liebevoll verpackten Gastgeschenke, die dem jeweiligen Favoriten atemlos vor Bewunderung auf die noch warme Bühne gereicht wurden, und schlussendlich die vielen vielen Kommentare wie „Ach ist das jetzt aber schade, is schon vorbei?!“ und „Na, das Geld hat sich aber wieder mal richtig gelohnt“, haben diesen Abend auf andere Weise unterhaltsam gemacht als vielleicht zunächst erwartet. Ich liebe Musik, aber vielleicht muss ich deswegen nicht alle Unterarten davon gleichermaßen genießen. Ich habe mich einfach gefreut von so vielen freundlichen fröhlichen Menschen umgeben zu sein, die offensichtlich alle einen famosen Abend hatten. Den hatte ich merkwürdigerweise auch. Ende gut, alles gut.

Bonne nuit

Ella