Der Ort ist das "Café Paris" in der Rathausstraße, ein kleines Restaurant, gespickt mit Jugendstilelementen, keine 2 Minuten Fußweg vom Hamburger Rathaus entfernt.
Gleich beim ersten Ma(h)l dort, habe ich die Atmosphäre geliebt. Es ist schrecklich laut und voll und überall klappert Geschirr und Besteck, die Tische sind viel zu klein und wackelig und die Bedienungen samt ihrer französischen Arroganz ständig "sehr in Eile". Aber das ist, was es so gemütlich macht - echter Pariser Flair! Mitten in Hamburg.
Mein Sonntagsfrühstück - oder impressionistisch ausgedrückt "Frühstück der Radler" -
am Tag des jährlichen Radrennens "Cyclassics", war vorzüglich und der Blick auf das Rathaus ist Belohnung für die draußen Wartenden, denn einen Platz in der großen Halle bekommt eben doch nur der, der sich vorher ordnungsgemäß angekündigt hat.
Oder man probiert es so wie ich: Drei Tage später bin ich nämlich nach getaner Arbeit hungrig und leicht angemüdet in die Neustadt gefahren. Nach noch ermüdenderem, und allenfalls mäßig erfolgreichem Schaufensterbummel, habe ich mich zu einem Spontanbesuch im "Paris" ("Pariiih" wie die Dame am Reservierungstelefon betont, hach ist das schön!) entschieden. Der Magen hing in den Kniekehlen und die gesamte Region um die Binnenalster ist nach 20 Uhr ein verlassenes, verschlafenes kleines Nest. Lässt sich gar nicht anders sagen.
Zurück zur Geschichte: Madame Berlin also geradewegs in die große Jugendstilhalle gestapft und gefragt ob nicht noch ein klitzekleiner Platz für eine nicht ganz so klitzekleine Person frei wäre. "Ich habe auch Hunger."
Die Antwort bestand aus einem bedauernden Kopfschütteln. Oh, wie mir dieses falsche Mitleid auf den Keks geht! Aber als dem falschen Mitleid dann ein charmanter Akzent folgte, mit den Worten "Zie gönnen zisch gernö an die Bahr zetzön un dohrt etwas essön", war mein Abend gerettet.
Ich hatte den "Katzentisch", wenn es so etwas an einer Bar gibt, gleich hinter der monströsen Kaffeemaschine. Mein Glück war, dass ich rechts an der Wand saß und so, halb in den Raum gedreht, alles im Blick hatte. Es lassen sich aus dieser Position fabelhaft Beobachtungen anstellen. So konnte ich die bebilderte Kacheldecke bestaunen, während ein sehr müder Mann, mit grimmigem Gesichtsausdruck, im braunen Anzug ein paar Plätze weiter muffelig die frischen Austern bestellte. Im Laufe des Abends schien er jedoch mit sich selbst und der Welt durchaus zufriedener zu werden. Sobald er das Jackett ausgezogen, das erste Glas Weißwein getrunken und sich die Ärmel hochkrempelte hatte als die Schale serviert worden war, schien die muffige Laune wie weggeschlürft.
Oder zwei Plätze neben mir, da hatte sich ein hipper Jüngling in Blockstreifenshirt und Chucks niedergelassen. Er saß gerade vor Weißwein und - wie sollte es anders sein - Austern, als sich eine Blonde Dame vom Kaliber "Hach, sind wir alle jung geblieben" zu ihm gesellte. Nein, dass er allein sein wollte merkte sie nicht, und nein, dass er gerade am Essen war auch nicht. Sie plauderte mir-nichts-dir-nichts drauf los und bevor die letzte Zitrone ausgedrückt war wusste die gesamte Bar bescheid:
"Ich warte auf meine Schwester, die wohnt ja schon soooo lange in Hamburg, oh jeh, und ich war das letzte Mal vor Ewigkeiten in der Stadt, da hatte ich noch gar keine Kinder, jetzt hab ich Kinder... also eins, einen Sohn, der ist schon 13...aber wir wohnen nicht in Hamburg, nein, wir wohnen in Pirmasens, weil Jannis Vater, der arbeitet dort, ich arbeite zur Zeit nicht, aber glaub ja nicht, dass ich nichts zu tun hätte, ich bin stäääändig beschäftigt, du bist ja auch so'n richtig cooler Typ, oder? Was machst'n Du so, ach, sag mal, was trinkst Du denn da? Weißwein, das ist ja cool. Ist der gut? Dann trink ich auch mal einen, meine Schwester kommt IMMER zu spät. So typisch, na ja, .... hups, da ist ja meine Schwester, Giiiiiittttteeeeee, hier bin ich, oh mensch, ist das toll Dich zu sehen, du siehst so toll aus, ach, darf ich vorstellen, das ist....... "(plötzliche Stille, denn dieser Schwall war in einem Atemzug auf den armen Kerl losgegangen und so hatte die Dame ihm keine Chance gelassen, zu sagen, dass er Jahn heiße).
Sogar der muffelige Mann im braunen Anzug schmunzelte. Gitte und ihre Schwester lächelten zum Abschied und verließen uns.
Nachdem ich meine Kürbiscremesuppe gelöffelt hatte, kam Nicolai, der Besitzer und Betreiber, und lud mich auf ein Gläschen Wein ein. Dabei erzählte er. Davon, dass es fast immer so voll ist, aber dass es früher noch französischer war, als geraucht werden durfte. Ich glaube, der gute Herr flirtet sehr gerne.
Nur für eine wichtige Aufgabe ließ er sich unterbrechen: Auf Zurufen stellte er sein Glas neben meinem auf der Bar ab, zückte das weiße Handtuch, rückte die Fliege zurecht und begab sich an einen kleinen Tisch um in einer kleinen Live-Performance direkt am Tisch das Tartar für einen schwer beeindruckten Gast zuzubereiten.
Ja, das war mein Abend irgendwo auf der Grenzlinie zwischen Hamburg und Paris. Ich lade jeden herzlich ein, sich von der Atmosphäre und dem guten Frühstück selbst zu überzeugen. Vielleicht sitze ich ja in der Ecke an der Bar und beobachte euch.
Bonne soirée.
Á bientôt
Ella
P.S.: Jetzt wisst ihr, warum ich euch eine kleine französische Musik mitgebracht habe.